Grenzerfahrungen – Krav Maga als Weg zur Selbstsicherheit

Ein Erfahrungsbericht der 27-jährigen Studentin Isabella S., aus dem Budocentrum der Sportvereinigung Polizei Hamburg.

„Wenn ich anderen erzähle, dass ich zwei Mal in der Woche zum Krav Maga Training gehe, ist die häufigste Frage darauf: „Warum machst du das?“ Die Antwort ist eigentlich ganz simpel: weil das Training mich stark macht.

Dass das so ist, weiß ich schon lange, doch wie sehr es stimmt, wurde mir klar, als ich vor einiger Zeit in einer unangenehmen Situation gelandet bin. Neben meinem Studium habe ich einen Nebenjob in einer Eventlocation, in der ich Gäste während Veranstaltungen betreue und an diesem Abend war es eine Weihnachtsfeier. Die Gäste: 2 Frauen, 32 Männer. Je später der Abend wurde, desto lockerer wurde auch die Stimmung. Das ist häufig so, doch an diesem Abend wurde sie etwas zu locker. Einer der männlichen Gäste, der auch noch der Vorgesetzte der anderen Gäste war, meinte, dass er sich Dinge herausnehmen könnte, die alles andere als in Ordnung sind. Am Anfang war er noch recht charmant, machte mir ein paar Komplimente und scherzte vor sich hin, doch irgendwann kippte die Stimmung. Er kam mir körperlich immer näher, versuchte immer wieder, mich zu berühren. Erst nur flüchtig, so als wäre das ganz beiläufig und aus Versehen passiert, doch irgendwann auch offensiver. Seine Nähe wurde immer unangenehmer für mich, ich fühlte mich schlicht und einfach bedrängt.

Isabella S. beim Krav Maga im Budocentrum Hamburg: Hart aber fair im Training, aber nicht zimperlich auf der Straße

Früher hätte ich diese Situation wahrscheinlich einfach weg gelächelt. Ich hätte gedacht, dass ich nichts dagegen sagen darf, weil das unfreundlich wäre und weil ich ihn nicht hätte verärgern wollen. Ich wäre nicht einfach so in der Lage gewesen, meine Grenzen aufzuzeigen, sondern hätte die Schuld vielleicht sogar noch bei meinem eigenen Verhalten gesucht. Ich hätte verhältnismäßig lange nichts gesagt. Und ich hätte mich letztendlich der Situation unter einem Vorwand heraus entzogen. Aber nicht heute. Nicht mehr. Ich habe anstatt zu schweigen also meinen Mut zusammengenommen, meine linke Hand auf seinem Brustbein platziert und ihn leicht aber bestimmt einen Meter von mir geschoben mit den Worten: „Gucken ist ok, aber anfassen ist nicht.“ Ich habe dabei nicht gelächelt, ihm direkt in seine Augen gesehen und seinem Blick Stand gehalten. Damit war die Sache erledigt.

Für eine außenstehende Person mag das unspektakulär klingen oder „normal“, die eigenen Grenzen so abzustecken, für mich war das aber wie ein kleiner Befreiungsschlag, da ich noch vor ein paar Jahren niemals zu so einer Reaktion in der Lage gewesen wäre. Denn oft sind es genau solche Situationen, denen wir Frauen ausgesetzt sind und in denen es uns besonders schwerfällt, Grenzen zu setzen. Situationen, die erstmal ganz harmlos beginnen. Ein entspannter Abend, der plötzlich eine ungewollte Wendung nimmt. Sexistisch angehauchte „Späße“. Ein Gast oder ein Vorgesetzter, ein Kollege bei der Arbeit, der Freund eines Freundes. Situationen, in denen wir auf Grund der gegebenen Verhältnisse und Konstellationen in eine unangenehme Lage geraten. Umso wichtiger ist es, genau in diesen Situationen aktiv statt passiv zu sein und deutlich zu werden, wenn jemand eine Grenze überschreitet.

Meiner Meinung nach ist das Krav Maga Training besonders für Frauen genau dafür ein Geschenk. Ich gebe zu, dass es mich am Anfang abgeschreckt hat, dass relativ wenige Frauen in der Krav Maga Gruppe trainieren. Aber irgendwann wurde mir bewusst, dass das im Endeffekt auch positiv sein kann, denn so trainiere ich fast immer mit Männern – und auf der Straße würde mich sehr wahrscheinlich eher ein Mann angreifen als eine Frau. Das Training ist zwar hart, aber es macht auch viel Spaß und der Umgang untereinander ist immer an das jeweilige Level angepasst, das heißt ein Anfänger oder eine Anfängerin muss sich keine Sorgen darüber machen, von anderen Trainierenden überfordert oder gar verletzt zu werden.

Krav Maga Training im Budocentrum der Sportvereinigung Polizei Hamburg

Ich habe mit dem Krav Maga Training vor gut zwei Jahren angefangen, weil ich gerne das Gefühl bekommen wollte, mich in einer bedrohlichen Situation wehren zu können und Griffe und Techniken lernen, um mich selbst verteidigen zu können. Für den Fall der Fälle sozusagen. Krav Maga bietet sich dafür sehr gut an, da es ein effektives Selbstverteidigungs-System ist, bei dem man viel Input in kurzer Zeit vermittelt bekommt und auch das Gefühl hat, die Techniken irgendwann in der Realität anwenden zu können. Das Training beinhaltet Schlag-, Tritt-, Hebel- und Bodentechniken, die effektiv und verhältnismäßig leicht zu lernen sind und einem das Gefühl geben, dass sie im Ernstfall anwendbar sind und funktionieren, wenn man sie oft genug geübt hat. Zu den Grundlagen gehören klassische Schläge aus dem Boxen, eine konstante und effektive Deckung, Beinarbeit, Entwaffnen, das Parieren von Schlägen, Knie- und Ellenbogenstößen und Vieles mehr. Das Ganze wird mit einem knackigen Aufwärmtraining und meist einem abschließenden, freien Sparring kombiniert.

Die ersten drei Monate waren für mich die anstrengendsten, weil man im Training so viel Neues vermittelt bekommt und weil die eigene Ausdauer und Kraft erstmal hinterherkommen müssen. Wenn man aber regelmäßig da ist und durchhält, bemerkt man nach einigen Monaten die Fortschritte und das Training beginnt fast ein wenig „süchtig“ zu machen. Es treibt uns alle oft an unsere Grenzen und verlangt uns viel ab, aber wir wachsen dadurch auch immer wieder über uns hinaus. Einen großen Anteil daran tragen auch unsere Trainer, die mit ihrer jahrelangen Erfahrung und ihrem Feingefühl ganz genau wissen, wie weit sie uns treiben können, wo unsere Grenzen sind und worauf es beim Krav Maga wirklich ankommt. Die Techniken die uns vermittelt werden, sind sinnvoll, praxisnah und vielseitig und auch wenn wir theoretisch nach einer gewissen Zeit des Trainings in der Lage dazu wären, anderen Menschen Schaden zuzufügen, wird im Training immer wieder betont, dass wir genau das eben nicht wollen. Wir wollen keine aggressiven Schlägereien, sondern erst einmal die Deeskalation einer brenzligen Situation, um möglichst unbeschadet fliehen zu können. Und trotzdem haben wir durch unser Training die Gewissheit, dass wir uns schützen und wehren könnten, wenn es denn sein muss.

Messerabwehr im Krav Maga Training im Budocentrum Hamburg

Letztendlich ist der größte und für mich noch wichtigere Effekt des Trainings aber nicht die Selbstverteidigung an sich, sondern die Tatsache, dass das Training mich emotional und psychisch stärkt.

Wir müssen uns im Krav Maga immer wieder mit Situationen auseinandersetzen, die leichten bis sehr starken Stress in uns auslösen. Das kann eine Situation sein, in der man gewürgt oder mit einem Messer angegriffen wird oder man liegt schon am Boden und der/die Angreifende schlägt und tritt auf uns ein. Natürlich findet das Training immer in einem geschützten Rahmen statt und wir wollen uns nichts Böses, sondern miteinander und voneinander lernen. Trotzdem ist es immer mal wieder eine kleine Überwindung, sich auf solche Situationen einzulassen und zu spüren, wie es sich anfühlt, bedrängt, gegen die Wand gedrückt oder mit Boxhandschuhen im Gesicht getroffen zu werden und dann auch noch einen kühlen Kopf dabei zu bewahren. Was aber am Ende hieraus entsteht, ist das Gefühl, sich wehren zu können und die Fähigkeit, ruhig zu bleiben, so bedrohlich die Situation auch erscheinen mag. Was am Ende entsteht, ist, dass es mir gelingt, dem Mann, der meine Grenzen nicht respektiert, meine Hand aufs Brustbein zu legen und ihn leicht aber bestimmt einen Meter von mir zu schieben.

Krav Maga hat mich sehr verändert. Es stärkt mein Selbstbewusstsein und meine Selbstsicherheit, in einem Maße, das ich niemals für möglich gehalten hätte. Durch Krav Maga habe ich gelernt, mehr für mich einzustehen und unter keinen Umständen aufzugeben. Im Training gibt es Momente, in denen die Erschöpfung so groß ist, dass ein Weitermachen nicht möglich scheint. Und dann macht man die Erfahrung, dass es eben doch möglich ist. Dass man stärker ist, als man denkt und dass man so ziemlich alles durchhalten kann, wenn man will. Diese Momente, so anstrengend sie auch sind, sind extrem kostbar und lehrreich und ich möchte sie nie wieder missen.“

Text: Isabella S. / Fotos: privat

Krav Maga im Budocentrum Hamburg

Krav Maga (hebräisch קרב מגע „Kontaktkampf“) ist ein modernes, eklektisches, israelisches Selbstverteidigungssystem, das bevorzugt Schlag- und Tritttechniken nutzt, aber auch Grifftechniken, Hebel und Bodenkampf beinhaltet.

Weitere Infos zu Krav Maga im Budocentrum Hamburg siehe hier.