Ju-Jutsu Trainer Christian Marek feiert seinen 65 Geburtstag

Reden ist silber, Schweigen ist Christian 

Er ist einer der Silberrücken im Budocentrum, seit Jahrzehnten Trainer für Ju-Jutsu, leitet die Frauen-SV-Kurse und seine Gruppen sind immer voll. Jetzt ist Christian Marek 65 Jahre alt geworden. Wer ist er? Und was ist sein Erfolgsgeheimnis?

Christian Marek, Ju-Jutsu Trainer der SV Polizei Hamburg,  ist 65 Jahre alt geworden

Disco Inferno

Um 18.15 Uhr, eine Viertelstunde nach Beginn, rollen bei den ersten Kursteilnehmern bereits die Schweißtropfen. Während Christian Marek „Hoch! Hoch! Hoch!” über die Musik brüllt, singen einige Frauen den Text mit: Burn, Baby, Burn! Ein Hauch vom legendären Studio 54 weht durch das Dojo 1 – und das im beschaulichen Hamburg-Alsterdorf. Die Musik der 1970er bis 1980er Jahre, oft gesungen von Afroamerikanern und dazu im Falsett, vertonte den hedonistische Rausch des New Yorker Nachtclubs und steht stellvertretend für die musikalische Disco Ära sowie die Geisteshaltung: Sex! Drugs! Rock’n Roll! Doch selbst wenn man von all dem noch nie gehört hat, treibt einen die Musik in die Bewegung, selbst Oma Kawuppke aus Braderup würde bei Beats von 130 pro Minute und den mitreißenden Rhythmen auf die Füße springen. Christian Marek weiß das natürlich; wie jeder gute Trainer zieht er seine Teilnehmer auch über die Musik an. Und da ist das Angebot groß im Budocentrum, die Vielfalt der Persönlichkeiten zeigt sich auch über ihre höchst individuelle Sportmusik.

Spätestens bei Jump! laufen die letzten Köpfe knallrot an und der Schweiß den Nacken herunter, nun werden kraftvoll Hampelmänner gehüpft. Christians Fans schätzen ihn für sein Aufwärmtraining am Freitag, bei dem er die Truppe in 45 Minuten (durch Corona: 60 Minuten) mit einer Mischung aus Aerobic- und Kampfsport-Elementen aufwärmt. Wer kleine Kinder hat und normalerweise um 22 Uhr müde mit dem Kopf in die Suppenschüssel fällt, kann hier ein bisschen von der alten Tanzlaune ausleben. Kritiker bemängeln, dass das Aufwärmen nicht kampfsportig genug sei, doch da sich jede Woche 40 bis 50 Enthusiasten im Dojo 1 sammeln, kann die Gruppe das verschmerzen. Denn leicht macht Christian es seinen

Teilnehmern nicht: Es gibt ruhigere und intensive Phasen, aber diese Einheit kennt keine Pause und auch deshalb nehmen hoch dekorierte Trainer aus anderen Disziplinen teil, weil sie dadurch ihre Kondition aufrecht erhalten können.

 

Gimme! Gimme! Gimme!

Kniebeugen, Kicks, Choreographie: Gegen 18.30 Uhr bewegt sich die Gruppe wie ein Klangkörper, eine Einheit. Die ganze Gruppe? Nein, da sind zwei, drei Männer, die unfreiwillig, aber konsequent außer Takt, andere Richtungen ansteuern. Denn in dieser Einheit werden die Karten neu gemischt. Gestandene Kämpfer hadern mit einfachsten Schrittfolgen, Weißgurte beeindrucken mit technischer Präzision, Senioren laufen konditionell zur Höchstform auf. Eine von ihnen ist Antje. Die 78-Jährige ist, gemeinsam mit ihrem Mann Ottomar, schon seit Jahrzehnten dabei. Manche sind versucht, sie wegen des Alters zu unterschätzen, doch auch bei der Trampolingymnastik hängt sie regelmäßig Jüngere ab. „Bei ihm kann man sich wenigstens richtig auspowern!“, strahlt sie. Ihr Mann ergänzt: „Christian ist ne’ Wucht!“

 

MacArthur Park

Wer ist also dieser Mann? Christian Marek in Zahlen: 1955 in Hamburg geboren. Seine Eltern hatten, wie so viele ihrer Generation, noch Flucht und Kriegsgefangenschaft erlebt. Ihr Sohn wollte schon als Kind zum Zoll oder zur Polizei. Nun arbeitet er bereits seit 48 Jahren als Bundesbeamter beim Zoll. Zum Arzt musste er genau zwei Mal, er fehlte nie wegen einer Erkältung, Grippe oder Kopfschmerzen. Seit über 40 Jahren ist er Mitglied in der SVP; seit 1982 Trainer. Unglaubliche 50 Jahre lang hält er bereits sein Gewicht von 78 Kilo. Fünf Tage die Woche läuft er jeden Morgen zehn Kilometer. Vier Mal die Woche trainiert er für sich im Kraftraum. Früher stemmte er 110 Kilo, heute sind es noch 90. Der Lohn für diesen Einsatz ist unter anderem sein Waschbrettbauch – und der Respekt, den seine Schüler ihm zollen. Denn Christian Marek steht nicht nur im Dojo und erzählt, sondern er macht mit; freitags gehört er, trotz des Alters, locker zu den Fittesten. An zwei Abenden die Woche unterrichtet er Ju-Jutsu und lehrt gemeinsam mit seinem Freund und Partner in Crime, Michi, sechs Mal im Jahr einen sechswöchigen Kurs, indem sie Frauen Grundkenntnisse der Selbstverteidigung beibringen. Auch die Frauen-SV-Kurse sind ständig ausgebucht und die Resonanz der Teilnehmerinnen ist überaus positiv.

Born To Be Alive

Zusammengefasst: Christian Marek ist ein Uhrwerk. Wie die meisten seiner Kollegen in der SVP lässt er sich nur selten, beispielsweise, wenn er im Urlaub ist, vertreten. Ansonsten steht er auf der Matte. Andere reisen mit dem Rucksack um die Welt oder versacken auf dem Sofa – er ist auch bei 33 Grad Außentemperatur da; trotz strömendem Regen geht er aus dem Haus. Er ist schlau und politisch gebildet, liest die Nachrichten, aber keine Romane. Weder ist er ein Philosoph, ein Intellektueller noch ein Weltverbesserer. Ausufernde Diskussionen über Gender-Gerechtigkeit und vegane Ernährung führen im Budo-Point die (wenigen) Geisteswissenschaftler des Vereins. Christian Marek dagegen bekräftigt seine Haltungen gerne kurz, in Statements wie: „Is’ so.“

Das Wort Diversity gehört definitiv nicht zu seinem Wortschatz und der eher konservativen Weltanschauung. Trotzdem lebt er Toleranz und Vielfalt: Auf seiner Matte sind alle willkommen, die sich Mühe geben, Spaß haben und etwas lernen wollen – Frauen und Männer, Kinder und Alte, Dicke und Schmale; egal, wen sie lieben, in welchem Land sie geboren wurden, ob sie Narben oder Falten haben, ehrgeizig sind oder wohl nie über den gelben Gürtel hinauskommen werden.

 

 

Tell Me Why

Anekdoten über ihn gibt es zuhauf. Früher, so erzählen es die Älteren, kommunizierte er vor allem schweigend. Ein knappes Nicken wurde zu einem innigen Willkommensgruß, den nicht jeder bekam. Wo er heute lächelt und lacht, zeigte er damals ein regungsloses Gesicht, wie Léon der Profi. Als er selbst Anfänger war, durfte nur der Meister auf der Matte sprechen, die Schüler hatten die Klappe zu halten. Sein eigenes Training galt als hart, er sei ein richtiger Schinder gewesen. Damals powerte er seine Leute derartig aus, dass sie vor Muskelüberlastung abends kaum ihr Glas Bier zum Mund führen konnten. Er hielt sie mit dem unausgesprochenen Leckerli bei der Stange, dass sie richtig Biss hatten und technisch und konditionell erhebliche Fortschritte (und bestandene Gürtelprüfungen) machten. „Jetzt bin ich altersmilde“, sagt er und grinst. Die Ernte seines
jahrzehntelangen Einsatzes: In seinem Dojo ist er als Silberrücken König. Und er erlebt, was Psychologen Selbstwirksamkeit nennen: Er tut, was ihm Freude macht und kann damit etwas bewirken, für sich und für andere: Gute Laune, sportliche Fähigkeiten, das Formen einer Gruppe, sich in der Rolle des bewunderten Leithammels sonnen.

Lay All Your Love On Me

Den Wandel führen Weggefährten auf seine beliebte Frau Nicole zurück. Durch sie sei er wie auf den Kopf gestellt; offener, herzlicher und gesprächiger geworden. Vielleicht nicht zufällig ist auch vor etwa 15 Jahren die Musik in seinen Freitagskurs eingezogen. Gefolgt vom Ritual, anschließend in der Sauna Sekt zu trinken und später bei Pommes und/oder Thai-Curry im Budo-Point zu klönen. Spaß und eine gewisse Lockerheit ist heute Teil seines Erfolgsrezepts, auch wenn er manche Disziplinen von früher vermisst. Als er mit buschigen dunklen Haaren und Schnauzbart äußerlich noch an den Fernsehdetektiv Magnum erinnerte, galten Fallschule und Rollen als unverzichtbare Basis, die ausdauernd eingeübt wurden. Gepflegte Hände und Füße inklusive der Nägel waren, gerade beim Kontaktsport, eine Selbstverständlichkeit. Dafür lehnten die Männer beim Grillfest nach dem Training Sonnencreme kategorisch ab – und tun es bis heute. Überhaupt ist seine Welt zu 90 Prozent eine männliche. Sein Job, über den er wenig berichten darf und will, ist eine Männerdomäne und im Verein trainierten früher weit weniger Frauen. Über Gefühle – Ängste und Sorgen, Zweifel und Kränkungen – spricht er im Verein nahezu nie. Dafür gehört Sport (wenig überraschend) zu seinen Lieblings-Themen, darüber unterhält er sich stundenlang. Wer in einem Gespräch Antworten möchte, kann mit ihm über Details zu Boris Beckers Wimbeldon-Sieg 1985 fachsimpeln oder über die spektakulären Figuren der Olympia-Turnerin Simone Biles.

Can’t Touch This

Um 18.45 Uhr scheitert die Verfasserin, nicht zum ersten Mal, an den Liegestützen. Neben ihr berührt eine kleine Frau mit der Genauigkeit einer Soldatin fast mit der Nasespitze den Boden. Ein Mann, der die Kälte auf der Rückseite seines T-Shirts trägt, pumpt fleißig. Christian zählt laut: „Acht! Sieben! Sechs!“ Jeder kann hier gemäß seines Ehrgeizes und Vermögens trainieren. Wer Schläge, Tritte, Würfel und

Hebel ganz exakt lernen will, muss zum Technikunterricht gehen. Knut Riedel, 4. Dan Karate, der mittlerweile auch den Braungurt im Ju-Jutsu umbinden kann, kennt die Unterschiede der verschiedenen Disziplinen: „Salopp gesagt haben die aus dem klassischen Karate einen Hang zum peniblen Perfektionismus und eine Faszination für Formen“, sagt er und schmunzelt. Aktuell sucht er sich Kurse, welche seine Kenntnisse für die Verteidigung auf der Straße ausbauen. Für Rolf Brauße, 1. Vorsitzender des Budocentrums, ist das die Stärke von Christian Marek: „Er ist mit seinen Fähigkeiten sehr vielseitig, lehrt technisch sauber und auch realitätsnah, er weiß wirklich, wovon er beim Ju-Jutsu als moderner Selbstverteidigung spricht. Zu ihm als Trainer habe ich vollstes Vertrauen!“ Knut Riedel lobt die Vorbereitung für seine Prüfung im Ju-Jutsu: „Anders als viele Trainer hat Christian uns kurz vor dem großen Tag nicht verwirrt, sondern uns praxisnah vermittelt, wie Prüfer die Situation wahrnehmen: ‚Das ist das Spielfeld, jemand wie Jens Keckstein will sehen, dass …’ Er war sehr fokussiert, hat uns freundlich verbessert und auf jede Frage unkomplizierte Antworten gegeben. Im Training schätze ich an ihm, dass er sich gestandene Mannsbilder als Uke nimmt und nicht etwa junge Anfängerinnen.“

Ma Baker

Zu Boney M werden das letzte Mal die Knie gehoben. Dann, um 18.55 Uhr läuft der letzte Song, die Gruppe muss für die Skippings noch mal hoch fahren. Manche trippeln vor Ermattung im Schneckentempo und wedeln mit kurzen Armen nur ein bisschen durch die Luft. Andere schlagen kraftvoll lange Arme, Michi und ein Mann, der aus dem Karate kommt, zeigen sich dabei weit vorn. Bei der kurzen Pause wird erschöpft gehechelt und getrunken, nur einer der jüngeren Männer, mit Schwarzgurt, zieht unverdrossen durch. Trainer Christian tänzelt derweil durch die Reihen und ruft, halb motivierend, halb drohend: „Los!“ Später wird er vom Urlaub mit seiner Frau in Österreich erzählen, sie wandern gerne auf den Spuren des Bergdoktors in den Bergen. Und sonst? Erfährt man nur etwas über ihn, wenn man intensiv fragt und gut zuhört. Aber auch dann gibt es Grenzen, gerade in Bezug auf seinen Job. Bernd Faklam, 6. Dan Ju-Jutsu, 3. Dan Karate, hat mit Christian etlichen Lehrgänge absolviert. Inzwischen haben beide graue Haare und kennen sich über 35 Jahre. Wie würde er Christian beschreiben? „Du meinst, ihn zu kennen. Aber am Ende weißt du nichts über ihn!“

Keep on Jumpin

Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag aus dem Budocentrum Hamburg.

Text und Fotos: Heide Fuhljahn (SVP)