„Ich habe standgehalten“ – Graduation im Giron Arnis Escrima

Vom 5. bis 7. April 2024 hat Philip Hundt (34) in Stockton (Kalifornien, USA) erfolgreich seine „Graduation“ im Giron Arnis Escrima abgelegt. Im Kurz-Interview erläutert das Mitglied der Sportvereinigung Polizei Hamburg (SVP), wie er diese sehr spezielle Prüfung erlebt hat, wie er sich vorbereitet hat und wie seine weiteren Pläne aussehen.

Giron Arnis Escrima ist ein philippinisch-amerikanisches Kampf- und Selbstverteidigungssystem, das auf scharfen Klingen basiert. Es wurde während des Zweiten Weltkriegs von Leo M. Giron im philippinischen Dschungel entwickelt und wird seit 1968 in Stockton unterrichtet. Schwerter und Messer werden dabei auch durch Stöcke und waffenlose Selbstverteidigung ergänzt. Das Giron-System besteht aus 20 „Stilen“, die jeweils spezielle technische Problemstellungen in den Mittelpunkt stellen. Begonnen wird mit dem Estilo de Fondo (Grundlagenstil) und dem Larga Mano (ein Stil in weiter Distanz), danach folgen vertiefende Stile wie etwa Estilo Retirada (Kämpfen in der Rückwärtsbewegung) oder Tero Grave (die Auseinandersetzung mit den besonders effektiven Zielpunkten am Körper). Dabei zeichnen Flexibilität und die ständige Weiterentwicklung die Kampfkunst aus, getreu deren Motto „Bahala Na“, auf Deutsch in etwa zu übersetzen mit „Komme was wolle“.

Sichtlich zufrieden: Die erfolgreichen Graduates aus Deutschland mit „Guro“ Hanjo Bergmann (SVP): Philip Hundt (SVP, links), Jörg Heimerl (rechts).

Die Giron Arnis „family“ ist international sehr eng vernetzt und legt besonderen Wert auf Austausch und regelmäßige Treffen. Hinzu kommt eine klare Ablehnung einer Kommerzialisierung ihrer Kampfkunst. In der SVP wird Giron Arnis vertreten durch Frank Büchner, als „Master“ international eine der drei obersten Instanzen des Stils, sowie Hanjo Bergmann und Moritz Kendzia, die beide den Ehren-Rang eines „Guro“ innehaben. Philip ist seit zwölf Jahren in der SVP im Giron Arnis aktiv. Die Graduation hat er gemeinsam mit Jörg Heimerl, einem Sportkameraden aus Bayern, abgelegt und die beiden sind nun der siebte und achte Graduate aus Deutschland.

Anders als in anderen Kampfkünsten gibt es im Giron Arnis keine Gürtelfarben, sondern erst die „Graduation“ lässt einen Trainierenden zum „Fortgeschrittenen“ aufsteigen. Diese zu bestehen ist vergleichbar mit dem Erlangen eines höheren Schwarzgurt-Grades in anderen Kampfkünsten und nur sie gewährt den Zugang zu den „tieferen“ Inhalten und Stilen des Giron Arnis. Seit 1973 hat es weltweit bisher nur ca. 140 Graduates gegeben.

Daher ist auch der Ablauf dieser Prüfung sehr speziell und extrem fordernd: Über zwei Tage hinweg werden die Prüflinge in der Zentrale in Stockton (Kalifornien) mit immer neuen Angriffen und technischen Herausforderungen konfrontiert, die diese spontan mit ihrem praktischen Können beantworten müssen. Als Prüfer können alle bisherigen Graduates die Anwärter angreifen und diese mit ihren individuellen Angriffs-Stilen und ihren persönlichen Anforderungen konfrontieren. Was genau auf die Prüflinge zukommt, ist für diese vorab nicht planbar: Weder der genaue Zeitraum noch die Abfolge der Prüfungsaufgaben ist konkret vorhersehbar, ebenso wenig die genaue Art und Intensität der Angriffe. Das Ziel ist auch ein Test der mentalen Stärke der Anwärter. Schutzausrüstung wird nicht getragen und Angriffe werden bewusst schnell und teilweise unkontrolliert ausgeführt, um möglichst realitätsnah Stress und Angst vor Verletzungen auszulösen. Anmelden kann sich ein Prüfling nicht selbst, sondern er oder sie muss von einem Master oder Guro als Fürsprecher vorgeschlagen werden.

Philip und Hanjo während der Vorbereitung im Budocentrum Hamburg

Wie hast du deine Graduation erlebt? Was lief besonders gut und was eher nicht?
Philip: Es war eine einmalige und großartige Erfahrung! Es war physisch und psychisch sehr fordernd und ich habe sowohl in der Vorbereitung als auch während der Graduation sehr viel über mich selbst gelernt – über meine Psyche, meinen Körper und meine Technik. Aber für mich war es vor allem der Test, ob ich unter großem Druck auch das Mindset halten kann, z.B. wenn Angreifer, die 30kg mehr wiegen als ich, mit voller Wucht auf mich einschlagen. Ja, ich habe standgehalten, ich hatte auf alle Angriffe eine Antwort, manchmal eine gute, manchmal auch eine nicht ganz so gute. Insbesondere beim Misclas Contras (dem Kampf gegen mehrere Gegner) bin ich nicht mehr ganz so schön rausgekommen, wie ich es mir gewünscht hätte. In dieser Übung dürfen die Angreifer sich in einer Reihe aufstellen und einer nach dem anderen frei mit mehreren Angriffen und mit allem, was sie haben, angreifen – während ich als Anwärter allein darauf beschränkt bin, mich zu verteidigen. Am Ende war ich stolz, dass ich „nur“ zwei harte Treffer abbekommen habe und die Übung erfolgreich zu Ende gebracht habe. Solche Treffer gehören in der Übung dazu, aber insgesamt hätte ich mir natürlich gewünscht, dass wirklich alles perfekt läuft. Die Verletzungen sind mittlerweile aber auch schon fast ausgeheilt (lächelt).

Wie hattest Du Dich vorbereitet? Worin bestand die größte Herausforderung in der Vorbereitung?
Ich habe mich über 1,5 Jahre intensiv vorbereitet. In der Regel habe ich fünf bis sechs Einheiten pro Woche trainiert: dreimal reguläres Training, dazu zwei oder drei Einheiten Grundlagen-Ausdauer. Später habe ich dann eine von den Ausdauer-Einheiten gegen ein High-Intensity-Training ausgetauscht. Dazu kommen etliche Trainingsbesuche bei meinem Mit-Anwärter Jörg in Bayern und Einzel- und Kleingruppentrainings am Wochenende. In der Graduation hat sich dieser hohe Anteil an Fitness-Training für mich spürbar ausgezahlt, weil sowohl mein Körper als auch mein Geist wach waren – ich fühlte mich fit, auch unter hohem Stress. Für mich war die größte Frage aber, ob mein Kopf mitmachen würde und ich wirklich immer weitermachen könnte. Darüber hatte ich vorher viel gegrübelt, aber am Ende erfährt man die Antwort nur, wenn man sich der Graduation stellt. Ich habe es gemacht und kann die Frage jetzt für mich eindeutig mit „ja“ beantworten! Und auch nicht nur für mich, denn die Prüfung lief für uns beide insgesamt gut und auf einem hohen technischen Niveau.

Wie wird es nun weitergehen für Dich?
Ich werde natürlich weiter trainieren, aber jetzt erstmal wieder mit normalem Pensum (grinst). Während der Graduation haben mir die anderen Graduates sozusagen „mit den Stöcken Fragen gestellt“, die ich dort für mich noch nicht befriedigend beantworten konnte – daran werde ich weiterarbeiten, da sind meine Ziele schon recht konkret. Als Graduate kann ich nun auch in jene Substile einsteigen, die den Graduates vorbehalten sind, z.B. weil sie deutlich offensiver ausgerichtet sind. Außerdem ist es mir ganz wichtig, meinen Trainingspartnerinnen und -partnern etwas zurückzugeben für Ihre Unterstützung in dieser langen Vorbereitung.

Vielen Dank für das Interview, noch viel Erfolg auf deinem weiteren Weg – und Bahala Na.

Herzlichen Glückwunsch auch aus der Budoabteiling der SVP.

Interview: Knut Riedel (SVP); Fotos: Hanjo Bergmann (SVP)

Die Giron Arnis Escrima Graduates 2024 (mit Halsbändern) gemeinsam mit all ihren Prüfern