„Mit diesem Team hinter mir kann ich mich voll auf den eigentlichen Kampf konzentrieren“

Jasmin Thiele (33 Jahre), Mitglied im Combat Team der Sportvereinigung Polizei Hamburg (SVP), hat am 16. Dezember 2023 beim Hurricane Harburg 3.0 ihren inzwischen dritten Kampf im K1 Vollkontakt-Kickboxen souverän gewonnen. Im Interview gibt sie Einblick in ihre Vorbereitung, wie sie den Kampf erlebt hat, was neu für sie war und wie sie die Situation für Frauen in „härteren“ Kontakt-Sportarten wahrnimmt.

Arbeit nach Plan: Jasmin Thiele (links) stört früh die mögliche Aktion ihrer Gegnerin (Foto: Hagen Lettow, SVP)

Frage: Wie hast du deinen Kampf erlebt? Gab es Unterschiede zu deinen letzten Kämpfen?

Normalerweise bekomme ich direkt vor und während des Kampfes nicht viel mit, bin „im Tunnel“ und kann mich auch hinterher nur an sehr wenige konkrete Situationen erinnern. Das war dieses Mal definitiv anders: Die Veranstaltung war mit ca. zwanzig Kämpfen sehr voll und es war sehr eng und unruhig in der Vorbereitungszone. Dadurch verschob sich mein Fokus etwas mehr in die Umgebung.

Auf der positiven Seite ist mir während des Kampfes zum ersten Mal passiert, dass ich nicht nur „im“ Kampf war, sondern ihn gleichzeitig auch aus der Beobachter-Perspektive wahrgenommen habe. Ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, den Kampf gut unter Kontrolle zu haben, und ich konnte genau beobachten, was meine Gegnerin als Nächstes tut.

Bemerkt habe ich auch, wie laut sie von ihrem Team angefeuert wurde. Dem standen allerdings „meine“ vier Mädels aus dem Combat Team gegenüber, die von weiter hinten trotzdem sehr deutlich zu hören waren. Das hat mich sehr glücklich gemacht und noch mehr gepusht. Danke, Mädels, ihr wart Klasse!

Frage: Wie lautete der „Gameplan“ und wie gut hast du ihn umsetzen können?

Aufgrund ihres Thaibox-Hintergrunds gingen wir davon aus, dass meine Gegnerin sehr druckvoll angreifen und hart schlagen und treten würde. Muhammad (Islamhanov, SVP-Trainer Kickboxen und Allkampf) hat mich genau auf diesen Thaibox-Stil vorbereitet. Im Kern ging es darum, sie möglichst früh zu stören. Sie sollte gar nicht erst in ihr Muster hineinkommen, während ich konsequent Punkte mache. Das hat genau so auch hervorragend geklappt, so gut, dass es von außen vielleicht etwas eintönig wirkte (lacht).

Frage: Wie hast Du Dich vorbereitet?

Ich habe regelmäßig viermal pro Woche im normalen Training im Budocentrum trainiert: Montag und Mittwoch Kickboxen, Freitag Allkampf und Sonntag die spezielle Wettkampf-Vorbereitung des Combat Teams. Privat habe ich noch Laufen und Fitness ergänzt.

Eigentlich ist das auch mein normales Trainingspensum. Der Unterschied war eher, dass Muhammad spezielle Übungen und Situationen für mich zusammengestellt und teilweise Trainingspartner instruiert hat. Und natürlich haben Muhammad und ich sehr viel gesprochen und so den Kampf auch mental vorbereitet. Dr. Anne Merkt (leitende Trainerin des Combat Teams und ehemalige MMA Kämpferin) hat mich insbesondere sonntags intensiv begleitet und mich emotional und psychisch auf den Kampf eingestellt.

Die letzten beiden Wochen vor dem Kampf war ich allerdings gesundheitlich etwas angeschlagen und wir wussten, dass ich mit meinen Kräften gut haushalten muss. In der Endphase habe ich sehr viel mit Visualisierungen zu meinen Bewegungsmustern gearbeitet.

Frage: Wie sind die Rollen in deinem Betreuungs-Team verteilt?

Muhammad ist hauptverantwortlich für die direkte Vorbereitung und auch die Betreuung am Ring.

Anne kümmert sich zusätzlich um alles Organisatorische und hält uns im Umfeld des direkten Kampfes den Rücken frei: Wann bin ich dran? Wo kann ich mich aufhalten? Was brauche ich direkt vor dem Kampf? Gerade diesmal, wo es räumlich eng war, war es sehr wichtig für mich, dass Anne die entsprechenden Freiräume für mich durchgesetzt und mir damit Ruhe verschafft hat.

Rolf Brauße, der mit seiner unglaublichen Erfahrung gefühlt schon alles erlebt hat und jeden kennt, gibt wiederum uns als Team Sicherheit. Man weiß einfach: Wenn es ein wirklich ernsthaftes Problem geben sollte, dann löst Rolf es.

Jasmin Thiele und das Betreuungs-Team hinter ihr: Anne Merkt, Muhammad Islamhanov, Rolf Brauße (Foto: Hagen Lettow, SVP)

Zusammen bilden alle drei für mich das perfekte Betreuungs-Team. Sie entscheiden auch gemeinsam, bei welchen Veranstaltungen sich das Antreten lohnt. Alle arbeiten sehr eng zusammen und es ist für mich immer wieder absolut verblüffend, welche Aspekte sie für die Kämpfenden alle berücksichtigen und wie genau und langfristig sie alles planen. Das war auch in diesem Fall wieder ein unglaublicher Einsatz für „meine“ Kampf-Vorbereitung – dem kann ich selbst nur gerecht werden, wenn ich mich für meinen direkten Teil genauso einsetze. Es ist schon super, ein solches Team hinter sich zu haben – damit kann ich mich voll auf den eigentlichen Kampf konzentrieren.

Über das Betreuungs-Team hinaus möchte ich mich aber auch herzlich bei all meinen Sparring-Partnerinnen und -Partnern im Training bedanken. Den meisten ist wahrscheinlich gar nicht bewusst, wie wertvoll jede und jeder Einzelne ist, weil sie mich immer wieder vor unterschiedliche Aufgaben stellen – und mich dabei alle bestmöglich unterstützen wollen.

Frage: Welche weiteren Pläne bzw. Ziele hast du?

Ich möchte weiter K1 kämpfen und das gerne auf größeren, professionell organisierten Veranstaltungen. Dabei ist für mich persönlich nicht das Gewinnen das Wichtigste, sondern zu wissen, vor und während des Kampfes mein Bestes gegeben zu haben. Und damit auch Vorbild für andere Frauen zu sein, die kämpfen wollen.

Stolz auf den dritten Sieg in Folge: Anne Merkt, Jasmin Thiele, Muhammad Islamhanov, Rolf Brauße (Foto: privat, SVP)

Frage: Wie beurteilst du insgesamt die Situation für Frauen im Vollkontakt-Kampf?

Ich glaube, es gibt da ein wahnsinnig unterschätztes Potenzial, gerade im Vollkontakt werden Ambitionen von Frauen nach wie vor kaum wahrgenommen! Männer werden ziemlich schnell gefragt, ob sie auf Turniere, in den Ring oder in den Käfig wollen – bei Frauen fehlt häufig das Bewusstsein, dass sie sich in einem Kampf messen wollen könnten. Hier ist Anne eine große Bereicherung und ein wichtiges Vorbild für die Frauen in unserem Team.

Die German MMA Sisterhood im November 2023; vordere Reihe 2. von links Lisa Wenker, rechts daneben Verena Sehring (Foto: privat)

Lisa Wenker (SVP) und ich haben daher auch die „German MMA Sisterhood“ gegründet (https://www.instagram.com/german_mma_sisterhood/ ), wo wir einmal pro Monat ein kostenloses Training von Frauen für Frauen aus Kickboxen, Thaiboxen, Allkampf, MMA usw. anbieten. Anne und Verena Sehring (u.a. MMA Judge und MMA Inspector der GEMMAF, aus dem Fight Gym Hamburg) unterstützen uns dabei und das Budocentrum stellt uns die Matte zur Verfügung. Die Nachfrage ist sehr gut, wir hatten die letzten Male immer über zehn Frauen dabei, die aus dem gesamten norddeutschen Raum kamen.

Gerade jungen Frauen und Talenten wollen wir vermitteln: Nicht alles, was für deine immer noch überwiegend männlichen Trainer und Trainingspartner normal und richtig ist, muss es deshalb auch für dich als Frau sein. Entscheidend ist, was du als Kämpferin oder auf dem Weg zur Kämpferin brauchst und wie du es auf dich zugeschnitten umsetzen kannst.

Vielen Dank für das Interview und noch viel Glück und Erfolg auf deinem weiteren Weg.

Interview: Knut Riedel (SVP)